Anthony Ryan Rabenschatten 2
Der Herr des Turmes
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»Der Herr des Turmes« (Rabenschatten 2) von Anthony Ryan
Nachdem Vaelin Al Sorna aus dem Krieg im alpiranischen Kaiserreich und dem Kampf gegen den Schild in die Königslande zurückkehrt, ist er des Kämpfens müde. Er verpackt sein Schwert und hofft, dass er es nie wieder verwenden muss. In Varinsburg angekommen, schickt ihn der neue König Malcius, der Sohn des verstorbenen Königs Janus, in die Nordlande, um dort Herr des Turmes zu werden. In der Hoffnung, dort in Frieden leben zu können, macht er sich auf den Weg.
Reva Mustor, Nichte des cumbraelischen Erzfürsten Sentes Mustor, wurde von einem Priester mit Schlägen und Brutalität die Liebe zum Weltvater anerzogen. In dessen Auftrag macht sie sich auf die Suche nach Vaelin, um ihn zu töten und das Schwert ihres Vaters zurückzuholen. Auf der Reise muss sie allerdings erkennen, dass nicht alles so einfach ist, wie es scheint.
Frentis, Bruder des sechsten Ordens, wurde im alpiranischen Kaiserreich gefangen genommen und muss als Sklave Kämpfe bestehen. Sein Leben nimmt eine Wende zum Schlechteren, als eine geheimnisvolle Frau auftaucht, ihn als ihren Sklaven auf eine Reise durch die Königslande mitnimmt und ihn mittels ihres Willens kontrolliert und zum Mörder macht.
Lyrna Al Nieren bekommt von ihrem Bruder, König Malcius, den Auftrag, zu den Lonakern zu reisen, deren Hohepriesterin ein Friedensangebot nach Varinsburg geschickt hat. Sie erhofft sich dort, mehr über die Dunkle Gabe zu erfahren, die in den Königslanden gefürchtet ist. Ihr ist noch nicht klar, dass ihre Welt bald zerbrechen wird und sie zeigen muss, wie stark sie ist.
Währenddessen ziehen volarianische Reiter durch die Königslande, morden und sammeln Sklaven für ihr Volk, während sie ihre Armee immer weiter vergrößern. Mit Hilfe mächtiger Verbündeter, langlebiger Kreaturen, die die Körper sterbender Menschen übernehmen können, wollen sie die Königslande erobern und rücken gnadenlos vor. Die Hoffnung ruht allein auf einer Legende, die dem Töten abgeschworen hat: Vaelin Al Sorna.
Kommentar:
Der erste Teil der Rabenschatten-Trilogie, „Das Lied des Blutes“, war für mich eines der Fantasy-Highlights der letzten Jahre. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen an den zweiten Teil, dessen Veröffentlichung ich herbeigesehnt habe. Meine Erwartungen wurden zum Glück nicht enttäuscht, auch wenn der zweite Teil ganz anders aufgebaut ist als der erste Teil. Anfangs tat ich mich etwas schwer damit, aber die neue Erzählweise hat mich schnell gefesselt. Auch hier bildet die Erzählung des Geschichtsschreibers Verniers, die einen Ausblick auf das Ende des Buches gibt, wieder den Rahmen der Geschichte.Während der erste Band allerdings eine stringente Geschichte aus der Sicht von Vaelin Al Sorna erzählt, sind die Kapitel in „Der Herr des Turmes“ abwechselnd aus der Sicht von vier verschiedenen Personen geschrieben.
Durch die vielen Perspektivwechsel ist das Buch nicht so geradlinig wie der erste Teil. Dem Leser wird mehr zugemutet, da die Geschichte komplexer und verschachtelter ist. Die vier Handlungsstränge aus der Sicht von Vaelin, Frentis, Reva und Lyrna laufen parallel, in jedem Kapitel erfährt der Leser etwas, das auch die Handlungen der Personen aus den anderen Kapitel schlüssiger macht und verstehen hilft, warum etwas passiert oder welche Motive die Charaktere haben. Die Hintergründe entfalten sich erst nach und nach, sodass der Leser anfangs noch nicht genau weiß, worum es eigentlich geht oder wohin die Geschichten führen werden. Der Leser wird an verschiedene Orte in den Königslanden geführt, von Cumbrael bis zu den Nordlanden oder den geheimnisvollen Lonakern und erfährt sehr viel von der Welt. Die Karten in dem Buch fand ich sehr hilfreich, um mir ein Bild davon zu machen, wo sich die einzelnen Personen auf ihrer Reise aufhalten.
Die Charaktere sind sehr vielschichtig und jeder für sich einzigartig. Vaelin ist des Kämpfens müde und sucht den Frieden, der ihm nicht vergönnt ist. Frentis wurde durch seine Gefangenschaft zu einem skrupellosen Mörder, der bereit ist, für seine Freiheit zu kämpfen. Reva kämpft dagegen mit ihrem Glauben und ihren Vorurteilen, erkennt dabei aber schließlich ihre eigene Stärke. Lyrna ist wissbegierig, intelligent und eine clevere Strategin, die bereit ist, die Verantwortung zu übernehmen, auf die sie vorbereitet wurde. Auch wenn die Charaktere in dem Buch durchaus ihre festen Meinungen haben, zum Beispiel Frauen gegenüber, schreibt der Autor angenehm vorurteilsfrei und lässt seine weiblichen Protagonisten genauso stark agieren wie die männlichen und sich gegen die vorherrschenden Meinungen erfolgreich auflehnen. Ebenso macht es für ihn keinen Unterschied, wer wen liebt, auch gleichgeschlechtliche Beziehungen kommen selbstverständlich vor.
Da jeder Protagonist seinen eigenen Charakter hat, gab es allerdings auch Kapitel, die ich nicht ganz so gern gelesen habe, wie zum Beispiel viele der Kapitel, die von Frentis gehandelt haben. In der Sklaverei gefangen, muss er viele grausame und brutale Dinge tun, seine Herrin ist unsympathisch, skrupellos und überheblich. Anfangs wiederholt sich die Handlung in den Kapiteln über Frentis auch des öfteren, sodass sie auf Dauer etwas langatmig waren. Der Sinn dahinter erschließt sich erst relativ spät. Auf der anderen Seite gefielen mir die Kapitel über Vaelin am besten, vielleicht auch, weil er die Hauptfigur im ersten Teil war und ich seine Geschichte weiter verfolgen wollte.
Die Sprache und der Erzählstil sind sehr atmosphärisch und nehmen den Leser sofort gefangen, ziehen ihn in die Welt hinein. Der Autor baut die Geschichte langsam auf, verweilt bei Personen und an Orten und nimmt sich Zeit für sie, ohne dass es dabei langweilig wird. Es tauchen viele Personen aus dem ersten Band wieder auf, teilweise nur ganz kurz und am Rande, teilweise mit größeren Rollen. Ich fand das Personenverzeichnis am Ende des Buches daher sehr hilfreich, da ich mich nicht mehr an alle Personen aus dem ersten Buch erinnern konnte und die Namen oft nachschlagen musste.
Ein Teil der offenen Fragen aus dem ersten Band werden zwar beantwortet, aber anderes bleibt unklar, beziehungsweise es hat nicht mehr den Stellenwert wie im ersten Teil. So spielen die Kreaturen, die die Körper sterbender Menschen in Besitz nehmen können, in dieser Geschichte eine große Rolle, der siebte Orden jedoch, der im ersten Teil als eine geheimnisvolle Organisation mit eigenen Plänen auftaucht, wird hier nur noch am Rande erwähnt. Auch die anderen Orden spielen nur eine untergeordnete Rolle, was ich schade fand, da ich zum Beispiel gern mehr Geschichten aus dem sechsten Orden gelesen hätte. Sherin, die große Liebe von Vaelin, wird in diesem Buch so gut wie gar nicht erwähnt, was mich etwas enttäuscht hat. Allerdings hoffe ich, dass die letzten Geheimnisse und Fragen im dritten Teil der Saga beantwortet werden. Mit den Volarianern taucht außerdem ein mächtiger neuer Gegner auf, der ganz eigene Pläne hat.
Fazit:
Der Herr des Turmes ist anders als der erste Teil der Rabenschatten-Trilogie, aber genauso herausragend. Ich warte nun sehnsüchtig auf den abschließenden dritten Teil, der hoffentlich nicht lange auf sich warten lässt.