Maggie Stiefvater
Rot wie das Meer
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»Rot wie das Meer« von Maggie Stiefvater
Jedes Jahr im November findet auf der Insel Thisby, unter der Teilnahme vieler Touristen und der einheimischen Bevölkerung, ein Pferderennen statt. Kein übliches Rennen wie man es vielleicht zu kennen glaubt, denn die Pferde sind ganz besondere Pferde – sogenannte Capaill Uisce. Es sind Geschöpfe des Meeres, wunderschön, wild und tödlich. Nur den ganz Mutigen gelingt es diese Pferde zu bändigen und für das Rennen vorzubereiten.
Einer dieser Mutigen ist der junge Sean Kendrick, viermaliger Gewinner des Rennens auf seinem Uisce-Hengst Corr. Auch in diesem Jahr nimmt er daran teil. Unter seinen Konkurrenten ist das Mädchen Kate Connolly. Kate, genannt Puck, hat sich jedoch dafür entschieden auf einem „normalen“ Pferd, Dove, daran teilzunehmen. Genau wie Sean, muss auch sie unbedingt gewinnen, denn nur so kann sie sich ihren großen Traum erfüllen.
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Mit Rot wie das Meer (Original The scorpio races) greift Maggie Stiefvater ein im britischen Großraum recht bekanntes und märchenhaftes Thema auf. Die Capaill Uisce sind Meereswesen in der Gestalt von wunderschönen Pferden, jedoch der bösartigeren Natur. Nicht zu vergleichen etwa mit Landpferden, die treu und ergeben ihren Besitzern dienen. Die Uisce ernähren sich vielmehr von Fleisch, wobei sie keinen Unterschied zwischen Menschenfleisch und denen von Tieren (Schafen, Katzen, Hunde) machen. Mit den Wellen kommen sie an Land, durchstreifen es und lauern den ahnungslosen Wanderern auf. Den Uisce werden in den Sagen und Märchen oftmals auch gestaltwandlerische Fähigkeiten zugeschrieben, je nachdem, ob man sich gerade in Schottland oder Irland befindet. Auf diesen Kniff jedoch hat Maggie Stiefvater glücklicherweise verzichtet. Ihn ihrer Geschichte, sind es einfach nur Pferde – wunderschön und todbringend. Man kann diese Pferde zwar einfangen und zum Beispiel für ein Rennen abrichten, zähmen jedoch nicht. Sie sind Geschöpfe des Meeres und nur dort fühlen sie sich zu Hause.
Eine der beiden Hauptpersonen, Sean Kendrick, ist solch ein Junge der mit den Uisce arbeitet. Sein Pferd heißt Corr und ist seltsam vertraut mit ihm. Das mag daran liegen, das Sean allgemein als ein sogenannter Pferdeflüsterer gilt. Jemand, der „die Sprache der Pferde versteht“ und schon fast empathisch mit ihnen verbunden ist. Sean und Corr sind mehr als bloß Trainer und Pferd, sie teilen vielmehr eine Zuneigung, wie sie eindrucksvoller nicht sein kann. Sean ist Vollwaise, genau wie das Mädchen Puck, Kate Connelly. Beide haben ihre Eltern durch die Capaill Uisce verloren. Sean seinen Vater bei einem Rennen, Puck ihre Eltern durch eine Uisce-Attacke bei einem Bootsausflug. Während Sean aus Überzeugung und Hingabe an den Rennen teilnimmt, ist es bei Puck anfangs eher ein bodenständigerer Grund. Einer ihrer beiden Brüder will die Insel verlassen um auf dem Festland zu arbeiten. Um die Abreise zu verzögern und ihn möglicherweise umzustimmen, schreibt sie sich, gegen alle Widrigkeiten, für das Rennen (besser bekannt als das Scorpio Rennen) ein. Die einheimischen Männer legen ihr dabei Steine in den Weg, um so die Teilnahme einer Frau am Rennen zu verhindern. Sean und Puck, die sich anfangs nur vom sehen her kennen, schließen im Verlauf der Rennvorbereitungen Freundschaft und verlieben sich ineinander. Die Crux jedoch ist, dass beiden im Verlauf klar wird, dass sie unbedingt das Rennen gewinnen müssen. Sean könnte so Corr von dem Besitzer und seinem Boss Benjamin Malvern kaufen und Kate den Verkauf ihres Elternhauses an eben jenen Benjamin Malvern abwenden. Nur, dazu brauchen beide unbedingt den Gewinn den das Rennen dem Sieger verspricht.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Sean und Puck erzählt und entpuppt sich als recht blutig. Die Insel selbst ist zwar eine Erfindung der Autorin, wird jedoch so plastisch beschrieben, das man meinen könnte, sie würde wirklich existieren. Auch wenn es eine fiktive Story ist, wäre es interessant zu erfahren gewesen, wie Maggie Stiefvater die Herkunft der Uisce erklärt hätte und warum sie ausgerechnet nur auf der Insel Thisby anzutreffen sind. Da es sich bei den Tieren um doch recht blutrünstige und todbringende Wesen handelt, bleibt auch die Frage, warum man sie nicht am Strand, oder dort wo sie gerade auftauchen, auf der Stelle erschießt, sondern sie statt dessen noch zu Rennzwecken abrichtet. Niemand käme wohl in einem einfachen Bauerndorf in Indien auf die Idee einen Tiger, der Angehörige angefallen und getötet hat, für einen Kampf oder ein Rennen abzurichten um dann Wetten darauf zu platzieren. Das Schicksal solch eines Tigers wäre direkt nach seiner Sichtung bereits entschieden (zu seinen Ungunsten versteht sich).
Ich muss dennoch gestehen, dass mich das Buch geradezu fasziniert hat. Maggie Stiefvater erzählt hier nicht die Geschichte des Rennens an sich (wie der Klappentext vielleicht suggerieren könnte), das wird gerade mal auf rund 12 Seiten abgehandelt, sondern vielmehr eine Geschichte über das Leben der Menschen auf der Insel Thisby – an erster Stelle natürlich Sean und Puck. Sie schreibt das auf eine so liebevolle, authentische und eindringliche Weise, dass man wirklich glaubt, man würde die Menschen kennen. Die Spannungskurve des Buches ist relativ flach, bis auf das Rennen selbst und einem kleinen Capaill Uisce Überfall auf Puck, Finn und Dove, passiert nichts wirklich aufregendes. Aber, das ist auch gar nicht schlimm. Das Buch bezieht seine Qualität nicht aus der Schilderung atemberaubender Ereignisse, sondern vielmehr aus der für mich ungemein hohen erzählerischen Kunst der Autorin und der Dichte der Geschichte. Es ist eine Liebesgeschichte, nicht nur zwischen zwei Menschen (Puck und Sean), sondern auch zwischen Mensch und Tier. Und wie es dazu kommt, knallt einem die Autorin nicht einfach so vor den Latz. Sie lässt sich, abseits von Kitsch und Vorurteilen, viel Zeit dazu, die Figuren können sich entwickeln und gewinnen so an Tiefe und Glaubwürdigkeit. Das ist für mich persönlich einfach eine hohe Erzählkunst auf einem Niveau, wie ich es mir wesentlich öfters zu lesen wünsche.
Egal ob es der Duft von Novemberkuchen, der Wellenschlag des Meeres oder die aufschäumende Gischt beim Galoppieren der Capaill Uisce am Strand ist, alles wird so anschaulich beschrieben, dass man es regelrecht zu riechen und zu hören meint. Der Abschied von Thisby, George Holly, Puck und Sean ist schwergefallen. Eines der wenigen Bücher, die für mich persönlich zu kurz, statt zu lang geraten sind. Maggie Stiefvater hat einen Welt geschaffen, in der ich gerne länger verweilt und die ich gerne etwas besser gekannt hätte. Das Ende der Geschichte ist anrührig, verheißungsvoll und traurig – genau wie ihr Anfang. Man könnte auch sagen: Der Kreis hat sich geschlossen.
Fazit:
Unbedingt lesen!